Unter Lehrern – Macht endlich Euren Job!
Von Gabriele Frydrych
Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 14. März 2005
Unlängst forderte die Kolumnistin einer großen Frauenzeitschrift empört: „Lehrer, macht endlich euren Job!“ Zwei Seiten lang listete sie genüsslich alle gesellschaftlichen Problemfelder auf, die ihr in den Sinn kamen, um die Ursachen dann trägen Pädagogen in die Schuhe zu schieben. Begeisterte Eltern antworteten ihr. Verständlich. Was ist schöner, als unangenehme Arbeiten zu delegieren? Sei es das telefonische Wecken beim schulaversiven Kind, ausreichende Flüssigkeitszufuhr, der tägliche Auslauf, korrekte Mülltrennung oder mitteleuropäische Umgangsformen („bitte“ und „danke“ sagen, grüßen, nicht ins Treppenhaus spucken undsoweiter). Lehrer sind zuständig für Grob- und Feinmotorik, für Körperhygiene, Empfängnisverhütung und saisonal sinnvolle Bekleidung. Sie vermitteln grundlegende Werte, die von der globalisierten Ich-Gesellschaft vergnügt abgelegt worden sind, und den richtigen Umgang mit Gewalt, Alcopops, Computern und Dispo-Krediten. Sie machen ausführliche Hausbesuche bei bildungsfernen Familien.
Nur bleibt oft wenig Raum für Prozentrechnung und Sprachförderung. Laut klagt die Handwerkskammer über Schulabgänger, die nicht ausbildungsfähig sind. Also muss der Staat die Daumenschrauben beim Personal noch enger drehen: die Lerngruppen vergrößern, die Arbeitszeit erhöhen, Humankapital und Gehalt kürzen. Egal, ob in Kindergarten oder Grundschule. Dem Bürger wird das als tiefgreifende „Bildungsreform“ verkauft.
Ärzte einer Uniklinik sind bei Lehrern und Erziehern auf ein neues Krankheitsbild gestoßen: die „masochistische Duldungsstarre“. Die Patienten stehen unter erheblichem Druck. Sie sind davon überzeugt, das Elend der Welt tragen und korrigieren zu müssen. Öffentliche Vorwürfe und immer neue Zumutungen nehmen sie bereitwillig auf sich. Wie Sisyphos rollen sie Steine bergauf und haben ein schlechtes Gewissen , wenn der Fels wieder ins Tal donnert. Nur vage ahnen sie, dass die ganzen Aufgaben von ihnen allein gar nicht gelöst werden können. Die masochistische Duldungsstarre verhindert, dass sie die Eltern vehement an ihre Erziehungspflichten erinnern („Macht endlich euren Job!“) und von Politik, Wirtschaft und Spaßgesellschaft lautstark inhaltliche, materielle und personelle Unterstützung fordern. Aber das ist auch gut so. Sonst müsste man in deutschen Landen ja vielleicht umdenken und wirklich Grundlegendes ändern.